Ich berichte von zwei aktuellen Beschlüssen der Landessozialgerichte (LSG) Berlin-Brandenburg vom 13.03.2025 zum Aktenzeichen L 32 AL 5 / 25 B ER und LSG Niedersachsen - Bremen vom 05.05.2025 zum Aktenzeichen L 11 AL76 / 24 B ER. Beide Beschlüsse behandeln vorläufigen Rechtsschutz (also Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen) gegen Bescheide der Arbeitsagentur, worin die Verlängerung befristeter Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse (ANÜ - Erlaubnissse) wegen Unzuverlässigkeit gemäß § 3 Absatz 1 AÜG abgelehnt wurde.
In beiden gerichtlichen Beschlüssen werden folgende Grundsätze genannt: Unzuverlässigkeit im Sinne von § 3 Absatz 1 Nr. 1 AÜG liegt vor, wenn beim Antragsteller Tatsachen vorliegen, aufgrund derer zu befürchten ist, dass er sein Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften ausüben wird. Dabei kann es sich einerseits um Verstöße im arbeitsrechtlichen Kernbereich handeln. Zu diesem Kernbereich zählen die Entgeltbestandteile, Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige Ansprüche auf geldwerte Leistungen. Andererseits kann sich die Unzuverlässigkeit auch aus einer Summierung von Umständen und kleineren Verstößen ergeben, die für sich isoliert gesehen die Versagung der ANÜ - Erlaubnis nicht rechtfertigen, wohl aber in ihrer Zusammenballung. Zuvor bereits festgestellte Verstöße (also wiederholte Verstöße trotz entsprechender Belehrung durch die Arbeitsagentur) können zu Lasten des Antragstellers bei der Bewertung berücksichtigt werden. Entscheidend ist allerdings immer die Zukunftsprognose. Falls diese Prognose nicht zu einem klaren Ergebnis führt, so ist zugunsten des Antragstellers (also gegen die Erlaubnisbehörde) zu entscheiden.
Die beiden gerichtlichen Beschlüsse unterscheiden sich insoweit, als dass vom LSG Berlin-Brandenburg über eine Summierung kleinerer Gesetzesverstöße entschieden wurde und vom LSG Niedersachsen-Bremen über Verstöße gegen arbeitsrechtliche Kernpflichten.
Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg:
Beim Antragsteller waren bei vorangegangenen Betriebsprüfungen der Arbeitsagentur diverse Gesetzesverstöße festgestellt worden wie z.B. nicht vollständige Angaben bei der Konkretisierung, Vorlage von Kopien anstelle von Originalen während Prüfungen, fehlende Beschreibungen der vom Arbeitnehmer geschuldeten Tätigkeit und Qualifikationen im Arbeitsvertrag, keine rechtsgültigen Angaben zu Equal Pay nach 9 Monaten, Fehler in den Arbeitszeitnachweisen, Überschreitung der maximalen Arbeitszeit, mangelhafte Betriebsorganisation, Erteilung falscher Auskünfte gegebenüber der Arbeitsagentur.
Das LSG Berlin-Brandenburg beurteilte diese Gesetzesverstöße nicht als Verstöße im Bereich der arbeitsrechtlichen Kernpflichten, so dass zu prüfen war, ob die Summierung kleinerer Gesetzesverstöße die Versagung der ANÜ-Erlaubnis rechtfertigt. Angesichts des hohen Gewichts der grundgesetzlich in Artikel 12 und 14 des Grundgesetzes geschützten Berufs- und Gewerbefreiheit seien an die Versagung der ANÜ - Erlaubnis strenge Voraussetzungen zu stellen, sodann müsse die Versagung immer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Bei den hier festgestellten, vom LSG Berlin-Brandenburg als nicht den Kernbereich arbeitsrechtlicher Pflichten betreffenden Gesetzesverletzungen gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Versagung der ANÜ - Erlaubnis nicht verhältnismäßig ist.
Sodann hob das Gericht zur Zukunftsprognose hervor, dass der Antragsteller zwischenzeitlich Schulungskurse zu den Rechtsvorschriften der ANÜ absolviert hat, was die Annahme nahelege, dass es in Zukunft zu deutlich weniger Verstößen gegen Rechtsvorschriften kommt.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen, worin folgender Sachverhalt beurteilt wurde:
Der das Tarifwerk der Arbeitszeit iGZ anwendende Antragsteller hatte hohe Steuerrückstände und hohe Beitragsrückstände bei Krankenkassen und es wurden bei Betriebsprüfungen der Arbeitsagentur - teilweise wiederholt - folgende Mängel festgestellt: Entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 AÜG fehlende Angaben zur Vergütung in verleihfreien Zeiten (Garantielohnklausel); automatische Einbuchung von Minusstunden im Arbeitszeitkonto für verleihfreie Zeiten; keine hinreichend klare Regelung zur Arbeitszeit; unzulässiger arbeitsvertraglicher Ausschluss von Nachtarbeitszuschlägen; unterbliebene Auszahlung von Jahressonderzahlungen und Feiertagslohn an wenige Arbeitnehmer; bei wenigen Arbeitnehmern nicht korrekte Urlaubsvergütung und Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit. Sämtliche vorgeschilderten Mängel bewertete das Gericht als Verstöße gegen den Kernbereich arbeitsrechtlicher Pflichten. Das Gericht sah Anhaltspunkte für systematische Lohnverkürzung.
Hinzu kamen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz wie Überschreitung der zulässigen monatlichen Arbeitszeit und verkürzte Pausenzeiten. Hierbei ist zu beachten, dass die Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften gemäß § 11 Absatz 6 AÜG nicht nur an den Entleiher, sondern auch an den Verleiher adressiert ist. Sodann sah das LSG folgende unzulässige Verlagerung des Betriebsriskos auf die Arbeitnehmer: Arbeitsverhältnisse wurden vom Arbeitgeber so gekündigt, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beendigung des Überlassungsvorganges zusammenfällt, wobei manche Arbeitnehmer dann später erneut eingestellt wurden. Hierdurch sparte der Arbeitgeber Garantielohn für die Zeit zwischen dem Wirksamwerden der Kündigung und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses. Schließlich hielt das LSG wiederholte Probezeitvereinbarungen mit demselben Arbeitnehmer für unzulässig, weil der Arbeitgeber aufgrund vorangegangener Arbeitsverhältnisse den Arbeitnehmer bereits hinreichend erprobt hatte.
Ich verstehe die entsprechenden Erläuterungen des Gerichts zu den erheblichen Zahlungsrückständen gegenüber Finanzamt und Krankenkassen so, dass solche Umstände dann kein Versagungsgrund für die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis sind, wenn aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit den Behörden / Krankenkassen und der erforderlichenb Bonität dafür Sorge getragen ist, dass die Zahlungsrückstände planmäßig abgetragen werden.
Fazit zu den hier kommentierten LSG - Beschlüssen:
Falls durch arbeitsvertragliche Gestaltungen und / oder Vorenthaltung von Entgeltbestandteilen der Eindruck einer planmäßigen / systematischen Lohnverkürzung - auch hinsichtlich der Vergütung für verleihfreie Zeiten (Garantielohn) - hervorgerufen wird, so folgt hieraus die Annahme einer arbeitsrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers mit der Folge der Ablehnung der Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis.
Meine Praxis in vielen von mir begleiteten Betriebsprüfungen zeigt allerdings, dass die Arbeitsagenturen lediglich Rügen aussprechen oder Auflagen erteilen (also die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis nicht verweigern), wenn plausibel dargelegt wird, dass versehentliche Fehler in einer überschaubaren Zahl von Einzelfällen unterlaufen sind und die Fehlerquellen durch entsprechende rechtliche Beratung und Gestaltung der Arbeitsabläufe im Betrieb in Zukunft verschlossen werden.
Bei Feststellung weniger schwerwiegender Gesetzesverletzungen, also insbesondere solcher außerhalb des Kernbereichs der arbeitsrechtlichen Pflichten, sollte es gelingen, die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis zu erreichen, falls nicht durch mehrfach wiederholtes Ignorieren entsprechender Hinweise und Rügen der Arbeitsagentur der Eindruck von Unbelehrbarkeit erweckt wird.