Ich berichte von einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Problematik des Anspruches des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nach gerichtlicher Feststellung der Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die durchaus nicht unübliche Fallkonstellation lautet: Der Arbeitnehmer erhebt gegen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses Kündigungsschutzklage. Er erscheint nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zur Arbeit sondern bezieht Arbeitslosengeld. Der Arbeitnehmer erhält von der Arbeitsagentur kein Vermittlungsangebot für eine andere Beschäftigung. Er sucht auch nicht aus eigener Initiative einen anderen Job, weil er bei seinem Arbeitgeber weiterarbeiten will. Im Kündigungsschutzprozess verteidigt der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und in der zweiten Instanz wird vom Landesarbeitsgericht festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war. Erst nach diesem Urteil wird der Arbeitnehmer dann wieder vom Arbeitgeber beschäftigt.Der Arbeitnehmer hat wegen der Unwirksamkeit der Kündigung dann grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitsvergütung wegen Annahmeverzuges des Arbeitgebers für die Zeit vom Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beim Arbeitgeber. Wenn sich der Kündigungsschutzprozess über zwei Instanzen hinzieht, kann sich der Zeitraum des Annahmeverzuges deutlich über 1 Jahr erstrecken mit der Folge entsprechend hoher Lohnzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers.
Falls der Arbeitnehmer – wie hier - nach der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht anderweitigen Verdienst erzielt hat - der gemäß § 11 Nr. 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) auf den Annahmeverzugslohn anzurechnen ist -, kann der Arbeitgeber den Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers nur dann abwenden oder reduzieren, wenn er mit Erfolg darlegen kann, dass der Arbeitnehmer im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG die Erzielung anderweitigen Verdienstes „böswillig unterlassen hat“.
Mit den Anforderungen an das böswillige Unterlassen der Erzielung anderweitigen Verdienstes beschäftigte sich das BAG in seinem Urteil vom 15.01.2025 zum Aktenzeichen 5 AZR 273/24, dessen wesentliche Gründe ich hier wie folgt wiedergebe:
Zunächst bestätigte das BAG seine neurere Rechtsprechung, wonach der Arbeitgeber infolge des Ausspruches einer unwirksamen Kündigung mit der Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Verzug gerät, ohne dass der Arbeitnehmer nach der Kündigung seine Arbeitsleistung beim Arbeitgeber anbieten muss.
Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG liegt dann vor, „wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitswahl nach Artikel 12 des Grundgesetzes zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Der Arbeitnehmer darf auch nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird.“
Zwar stellte das BAG fest, dass - wie hier - Böswilligkeit gegeben ist, wenn sich der Arbeitnehmer nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht darum bemüht, eine anderweitige zumutbare Beschäftigung zu finden. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich nach Ausspruch einer Kündigung bei der Arbeitsagentur arbeitslos zu melden. Falls der Arbeitnehmer Vermittlungsangeboten der Arbeitsagentur nachgeht, wird ihm in der Regel keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein.
Je nach Ausgestaltung des Einzelfalls kann der Arbeitnehmer auch verpflichtet sein, aus eigener Initiative ernsthafte Anstrengungen zum Auffinden einer neuen Beschäftigung zu unternehmen.
Auch wenn der Arbeitnehmer ernsthafte Bemühungen zum Auffinden einer zumutbaren Arbeit böswillig unterlässt, ist für die fiktive Anrechnung anderweitigen Verdienstes zusätzlich erforderlich, dass der Arbeitgeber substantiiert (also hinreichend ausführlich, detailliert und nachvollziehbar) darlegt, dass es für den Arbeitnehmer eine geeignete und ihm zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit gibt, auf die er sich mit Erfolg hätte bewerben können.
Die Darlegungslast im gerichtlichen Verfahren ist insofern wie folgt verteilt:
Zunächst muss der Arbeitgeber vortragen, dass für den Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden, entweder aufgrund von Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur (der Arbeitnehmer ist insoweit gegenüber dem Arbeitgeber auskunftspflichtig) oder der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer detaillierte und aussagekräftige Informationen zu geeigneten und zumutbaren Stellenangeboten übermittelt.
Dann muss der Arbeitnehmer erklären, wie er sich mit den Stellenangeboten der Arbeitsagentur oder den vom Arbeitgeber mitgeteilten Stellenangeboten auseinandergesetzt und was er ansonsten unternommen hat, um eine zumutbare Arbeit aufzufinden.
Nur wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten die Unterbreitung von Stellenangeboten durch die Arbeitsagentur vereitelt hat oder wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer ihm bekanntgegebenen geeigneten und zumutbaren Beschäftigungsangeboten nicht nachgegangen ist, trägt der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre.
Im hier erörterten Urteil des BAG kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich der Arbeitnehmer fiktiven Verdienst auf seinen Annahmeverzugslohn nicht anrechnen lassen muss, und zwar aus folgenden Gründen:
Selbst wenn der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitsagentur sagt, dass er keinen anderen Job haben möchte, weil er bei seinem alten Arbeitgeber weiterarbeiten möchte, so hätte der Arbeitgeber ergänzend darlegen müssen, dass nicht auch andere Gründe (wie z.B. das Alter des Arbeitnehmers) zu einer fehlenden Vermittelbarkeit des Arbeitnehmers hätten führen können.
Der Arbeitgeber hatte nicht vorgetragen, dass eine anderweitige Stelle in vollem Umfang für den aus Griechenland abstammenden Arbeitnehmer geeignet war, so z.B. die geforderten englischen Sprachkenntnisse und sicherer Umgang mit dem PC.
Da sich der Arbeitgeber nicht zeitnah nach Ausspruch der Kündigung, sondern erst deutlich später auf das Vorhandensein geeigneter und zumutbarer Stellenangebote für den Arbeitnehmer berufen hat, hätte der Arbeitgeber auch noch darlegen und beweisen müssen, dass der Arbeitnehmer auf einer anderweitige Stelle auch tatsächlich eingestellt worden wäre.
Diese Entscheidung zeigt, dass die Voraussetzungen für die Anrechnung fiktiven anderweitigen Verdienstes auf den Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers sehr streng sind. Bei zweifehafter Begründetheit der Kündigung in Verbindung mit längerer Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers empfiehlt es sich daher, einen Kündigungsschutzprozess zeitlich nicht ausufern zu lassen, sondern den Prozess abzukürzen. Ein auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung gerichteter gerichtlicher Vergleich kann in solchen Fällen aus Sicht des Arbeitgebers finanziell günstiger sein als hoher Annahmeverzugslohn.
Trotz des bisherigen deutlichen Unterschiedes zwischen den Forderungen der DGB-Gewerkschaften (Erhöhung der Tarifentgelte um 7,5 %) und dem bisherigen Angebot des GVP (nur 1,5 % Erhöhung) erfolgte schon in der Verhandlungsrunde am 12.09.2025 folgende Einigung der Tarifparteien der Zeitarbeit über neue Entgelte in der Arbeitnehmerüberlassung:
(1) Keine Erhöhung der Tarifentgelte bis zum 31.12.2025.
(2) Steigerung der Tarifentgelte zum 01.01.2026 um 2,99 %. Der Stundensatz der Entgeltgruppe 1 lautet ab dem 01.01.2026 also auf 14,96 €.
(3) Steigerung der Tarifentgelte zum 01.09.2026 um 2,5 %. Der Stundensatz der Entgeltgruppe 1 lautet ab dem 01.09.2026 also auf 15,33 €.
(4) Steigerung der Tarifentgelte zum 01.04.2027 um 3,5 %. Der Stundensatz der Entgeltgruppe 1 lautet ab dem 01.04.2027 also auf 15,87 €.
Die Jahressonderzahlungen (Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld) werden tarifdynamisch auf Basis der Entgeltgruppe 4 entsprechend den vorgenannten Prozentquoten angepasst.
Die Tarifparteien haben sich darauf verständigt, einen Mindestentgelttarifvertrag abzuschließen, wonach die vorgenannten Stundensätze der Entgeltgruppe 1 das Mindestentgelt bilden.
Sodann wird dieses Mindestentgelt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales als aktuelle Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung vorschlagen, so dass die vorgenannten Stundensätze der Entgeltgruppe 1 in Zukunft die Lohnuntergrenze im Sinne des § 3 a AÜG darstellen werden. Es wird also auch in Zukunft so sein, dass der Stundensatz der Entgeltgruppe 1 die Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung darstellen wird.
Voraussichtlich wird also in einer kommenden 7. Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung für die Zeit ab dem 01.01.2026 ein Mindeststundenentgelt in Höhe von 14,96 € festgesetzt werden.
Hieraus folgt, dass voraussichtlich für die Zeit vom 01.10.2025 bis zum 31.12.2025 eine spezielle gesetzliche Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung nicht besteht. Für diesen Zeitraum ist dann der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Höhe von 12,82 € die gesetzliche Lohnuntergrenze auch in der Arbeitnehmerüberlassung.
Die Tarifparteien vereinbarten eine Erklärungsfrist bis zum 22.10.2025 für die Ablehnung oder (was deutlich wahrscheinlicher ist) für die Annahme des Verhandlungsergebnisses.
Die Entgelttarifverträge BAP-DGB und iGZ-DGB, die seitens der Gewerkschaften zum 30.09.2025 gekündigt waren, treten mit Wirkung zum 01.10.2025 unverändert wieder in Kraft und werden zum 01.01.2026 durch den Entgelttarifvertrag GVP-DGB ersetzt. Der Tarifvertrag wird eine Laufzeit bis zum 30.09.2027 haben.
Ich berichte vom aktuellen Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg vom 19.05.2025 zum Aktenzeichen L 18 AL 28/25 B ER, der in zweierlei Hinsicht von Interesse ist:
Formulierung eines Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung der Verlängerung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis:
Bei der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Versagung der Verlängerung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis (ANÜ-Erlaubnis) kommen zwei unterschiedliche Antragsformulierungen in Betracht:
Gemäß § 86 a Absatz 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) besteht keine aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage gegen die Aufhebung oder Versagung der Verlängerung einer ANÜ-Erlaubnis. Dies bedeutet, dass die Entscheidung der Erlaubnisbehörde sofortige Wirkung entfaltet, also ihre Wirkung nicht bis zur Entscheidung über Widerspruch / Klage aufgeschoben wird. Erste Möglichkeit der Antragsformulierung ist dementsprechend ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Absatz 1 Nr. 2 SGG. In Betracht kommt aber auch ein Antrag gemäß § 86 b Absatz 2 SGG, der anwendbar ist, "wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte" oder wenn eine einstweilige Anordnung "zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint".
Auch wenn wegen der teilweisen Kürze der Sachverhaltsbeschreibungen in den hier genannten Beschlüssen die Vergleichbarkeit der Sachverhalte von mir nicht abschließend beurteilt werden kann, ergibt sich für mich der Eindruck, dass die Landessozialgerichte zur Frage der zutreffenden Antragsformulierung uneinig sind:
In den Fällen, in denen der Antrag auf Verlängerung der ANÜ-Erlaubnis im Sinne von § 2 Absatz 4 Satz 2 AÜG rechtzeitig gestellt wurde (also spätestens drei Monate vor Ablauf der vorangegangenen Erlaubnis), verlängert sich die ANÜ - Erlaubnis gemäß § 2 Absatz 4 Satz 3 AÜG automatisch, wenn der Verlängerungsantrag von der Erlaubnisbehörde nicht bis zum Datum des Ablaufes der vorangegangenen Erlaubnis abgelehnt wird. In einem vorangegangenen Artikel berichtete ich von dem Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen zum Aktenzeichen L 11 AL 76/24 B ER. In diesem Beschluss (und in weiteren dort zitierten Entscheidungen diverser anderer Landessozialgerichte) wird die Auffassung vertreten, dass in diesen Fällen der Rechtsschutzantrag gemäß § 86 b Absatz 1 Nr. 2 SGG (also auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung) zu formulieren sei, denn im Fall einer dem Antrag stattgebenden Entscheidung des Gerichts würde die aufschiebende Wirkung zur Rechtsfolge des § 2 Absatz 4 Satz 3 AÜG führen, also zur Verlängerung der ANÜ-Erlaubnis um ein weiteres Jahr.
In dem hier kommentierten Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg wird hingegen die Auffassung vertreten, dass im Falle der Versagung der Verlängerung einer ANÜ - Erlaubnis ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 86 b Absatz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu formulieren sei und nicht gemäß § 86 b Absatz 1 Nr. 2 SGG. Das LSG Berlin-Brandenburg stützt seine Auffassung auf § 2 Absatz 4 Satz 4 AÜG, wonach im Falle der Ablehnung der Verlängerung lediglich noch Altverträge für eine Zeit von maximal 12 Monaten abgewickelt werden dürfen. Deshalb könne die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86 b Absatz 1 Nr. 2 SGG nicht zu der begehrten Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis führen. Deshalb sei der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 86 b Absatz 2 SGG zu formulieren, also auf Erhalt einer ANÜ - Erlaubnis für das Jahr nach Ablauf der vorangegangenen Erlaubnis.
Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen im Hinblick auf diese divergierende Rechtsprechung spreche ich vorsorglich folgende Empfehlung aus: In Anträgen auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Versagung der Verlängerung der ANÜ-Erlaubnis soll die Bitte um einen gerichtlichen Hinweis für den Fall eingearbeitet werden, dass seitens des Gerichts eine abweichende Formulierung des Rechtsschutzantrages für erforderlich erachtet wird, um das gewünschte Ziel der Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis erreichen zu können.
Begründetheit eines Antrages gemäß § 86 b Absatz 2 SGG:
Grundsätzlich können bei der Prüfung der Begründetheit eines Antrages gemäß § 86 b Absatz 2 SGG sowohl die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache (Widerspruch oder Klage) als auch die Folgen der gerichtlichen Entscheidung herangezogen werden. Hierzu wird im dem hier kommentierten Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg erläutert:
Falls beim Antragsteller ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schwere, unzumutbare Folgen eintreten würden, die im Hauptsacheverfahren (Widerspruch oder Klage) nicht mehr beseitigt werden können, darf das Gericht seine Entscheidung nur dann allein an den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ausrichten, wenn Sachverhalt und Rechtslage vollständig aufgeklärt sind (was in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren eher selten der Fall sein wird). Wenn die Sach- und Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht umfassend aufgeklärt ist, müssen die negativen Folgen bei der Entscheidung berücksichtigt werden.
Wenn die Ablehnung der Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis auf einer Summe nicht schwerwiegender (wenn auch wiederholt festgestellter) Verstöße beruht, dann tritt das Interesse der Erlaubnisbehörde an einer sofortigen Unterbindung der weiteren Verleihtätigkeit des Antragstellers zurück, und zwar insbesondere dann, wenn der Antragsteller bereits Maßnahmen ergriffen hat, um zukünftige Gesetzesverstöße erheblich zu reduzieren. Die negativen Folgen der einstweiligen Versagung der Verlängerung der ANÜ-Erlaubnis für den Antragsteller werden dann als gewichtiger beurteilt, denn dem Antragsteller drohen dann in Gestalt des Verlustes des Kundenstamms und Kündigung der Arbeitsverhältnisse durch die Arbeitnehmer nicht wiedergutzumachende wirtschaftliche Folgen in seiner grundgesetzlich geschützten Tätigkeit. Dementsprechend hatte der Antragsteller in diesem Fall mit seinem einstweiligen Rechtsschutzantrag Erfolg.
Ich berichte von zwei aktuellen Beschlüssen der Landessozialgerichte (LSG) Berlin-Brandenburg vom 13.03.2025 zum Aktenzeichen L 32 AL 5 / 25 B ER und LSG Niedersachsen - Bremen vom 05.05.2025 zum Aktenzeichen L 11 AL76 / 24 B ER. Beide Beschlüsse behandeln vorläufigen Rechtsschutz (also Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen) gegen Bescheide der Arbeitsagentur, worin die Verlängerung befristeter Arbeitnehmerüberlassungserlaubnisse (ANÜ - Erlaubnissse) wegen Unzuverlässigkeit gemäß § 3 Absatz 1 AÜG abgelehnt wurde.
In beiden gerichtlichen Beschlüssen werden folgende Grundsätze genannt: Unzuverlässigkeit im Sinne von § 3 Absatz 1 Nr. 1 AÜG liegt vor, wenn beim Antragsteller Tatsachen vorliegen, aufgrund derer zu befürchten ist, dass er sein Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften ausüben wird. Dabei kann es sich einerseits um Verstöße im arbeitsrechtlichen Kernbereich handeln. Zu diesem Kernbereich zählen die Entgeltbestandteile, Ansprüche auf Erholungsurlaub und sonstige Ansprüche auf geldwerte Leistungen. Andererseits kann sich die Unzuverlässigkeit auch aus einer Summierung von Umständen und kleineren Verstößen ergeben, die für sich isoliert gesehen die Versagung der ANÜ - Erlaubnis nicht rechtfertigen, wohl aber in ihrer Zusammenballung. Zuvor bereits festgestellte Verstöße (also wiederholte Verstöße trotz entsprechender Belehrung durch die Arbeitsagentur) können zu Lasten des Antragstellers bei der Bewertung berücksichtigt werden. Entscheidend ist allerdings immer die Zukunftsprognose. Falls diese Prognose nicht zu einem klaren Ergebnis führt, so ist zugunsten des Antragstellers (also gegen die Erlaubnisbehörde) zu entscheiden.
Die beiden gerichtlichen Beschlüsse unterscheiden sich insoweit, als dass vom LSG Berlin-Brandenburg über eine Summierung kleinerer Gesetzesverstöße entschieden wurde und vom LSG Niedersachsen-Bremen über Verstöße gegen arbeitsrechtliche Kernpflichten.
Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg:
Beim Antragsteller waren bei vorangegangenen Betriebsprüfungen der Arbeitsagentur diverse Gesetzesverstöße festgestellt worden wie z.B. nicht vollständige Angaben bei der Konkretisierung, Vorlage von Kopien anstelle von Originalen während Prüfungen, fehlende Beschreibungen der vom Arbeitnehmer geschuldeten Tätigkeit und Qualifikationen im Arbeitsvertrag, keine rechtsgültigen Angaben zu Equal Pay nach 9 Monaten, Fehler in den Arbeitszeitnachweisen, Überschreitung der maximalen Arbeitszeit, mangelhafte Betriebsorganisation, Erteilung falscher Auskünfte gegebenüber der Arbeitsagentur.
Das LSG Berlin-Brandenburg beurteilte diese Gesetzesverstöße nicht als Verstöße im Bereich der arbeitsrechtlichen Kernpflichten, so dass zu prüfen war, ob die Summierung kleinerer Gesetzesverstöße die Versagung der ANÜ-Erlaubnis rechtfertigt. Angesichts des hohen Gewichts der grundgesetzlich in Artikel 12 und 14 des Grundgesetzes geschützten Berufs- und Gewerbefreiheit seien an die Versagung der ANÜ - Erlaubnis strenge Voraussetzungen zu stellen, sodann müsse die Versagung immer dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Bei den hier festgestellten, vom LSG Berlin-Brandenburg als nicht den Kernbereich arbeitsrechtlicher Pflichten betreffenden Gesetzesverletzungen gelangte das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Versagung der ANÜ - Erlaubnis nicht verhältnismäßig ist.
Sodann hob das Gericht zur Zukunftsprognose hervor, dass der Antragsteller zwischenzeitlich Schulungskurse zu den Rechtsvorschriften der ANÜ absolviert hat, was die Annahme nahelege, dass es in Zukunft zu deutlich weniger Verstößen gegen Rechtsvorschriften kommt.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen, worin folgender Sachverhalt beurteilt wurde:
Der das Tarifwerk der Arbeitszeit iGZ anwendende Antragsteller hatte hohe Steuerrückstände und hohe Beitragsrückstände bei Krankenkassen und es wurden bei Betriebsprüfungen der Arbeitsagentur - teilweise wiederholt - folgende Mängel festgestellt: Entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 AÜG fehlende Angaben zur Vergütung in verleihfreien Zeiten (Garantielohnklausel); automatische Einbuchung von Minusstunden im Arbeitszeitkonto für verleihfreie Zeiten; keine hinreichend klare Regelung zur Arbeitszeit; unzulässiger arbeitsvertraglicher Ausschluss von Nachtarbeitszuschlägen; unterbliebene Auszahlung von Jahressonderzahlungen und Feiertagslohn an wenige Arbeitnehmer; bei wenigen Arbeitnehmern nicht korrekte Urlaubsvergütung und Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit. Sämtliche vorgeschilderten Mängel bewertete das Gericht als Verstöße gegen den Kernbereich arbeitsrechtlicher Pflichten. Das Gericht sah Anhaltspunkte für systematische Lohnverkürzung.
Hinzu kamen Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz wie Überschreitung der zulässigen monatlichen Arbeitszeit und verkürzte Pausenzeiten. Hierbei ist zu beachten, dass die Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften gemäß § 11 Absatz 6 AÜG nicht nur an den Entleiher, sondern auch an den Verleiher adressiert ist. Sodann sah das LSG folgende unzulässige Verlagerung des Betriebsriskos auf die Arbeitnehmer: Arbeitsverhältnisse wurden vom Arbeitgeber so gekündigt, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Beendigung des Überlassungsvorganges zusammenfällt, wobei manche Arbeitnehmer dann später erneut eingestellt wurden. Hierdurch sparte der Arbeitgeber Garantielohn für die Zeit zwischen dem Wirksamwerden der Kündigung und dem Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses. Schließlich hielt das LSG wiederholte Probezeitvereinbarungen mit demselben Arbeitnehmer für unzulässig, weil der Arbeitgeber aufgrund vorangegangener Arbeitsverhältnisse den Arbeitnehmer bereits hinreichend erprobt hatte.
Ich verstehe die entsprechenden Erläuterungen des Gerichts zu den erheblichen Zahlungsrückständen gegenüber Finanzamt und Krankenkassen so, dass solche Umstände dann kein Versagungsgrund für die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis sind, wenn aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit den Behörden / Krankenkassen und der erforderlichenb Bonität dafür Sorge getragen ist, dass die Zahlungsrückstände planmäßig abgetragen werden.
Fazit zu den hier kommentierten LSG - Beschlüssen:
Falls durch arbeitsvertragliche Gestaltungen und / oder Vorenthaltung von Entgeltbestandteilen der Eindruck einer planmäßigen / systematischen Lohnverkürzung - auch hinsichtlich der Vergütung für verleihfreie Zeiten (Garantielohn) - hervorgerufen wird, so folgt hieraus die Annahme einer arbeitsrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers mit der Folge der Ablehnung der Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis.
Meine Praxis in vielen von mir begleiteten Betriebsprüfungen zeigt allerdings, dass die Arbeitsagenturen lediglich Rügen aussprechen oder Auflagen erteilen (also die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis nicht verweigern), wenn plausibel dargelegt wird, dass versehentliche Fehler in einer überschaubaren Zahl von Einzelfällen unterlaufen sind und die Fehlerquellen durch entsprechende rechtliche Beratung und Gestaltung der Arbeitsabläufe im Betrieb in Zukunft verschlossen werden.
Bei Feststellung weniger schwerwiegender Gesetzesverletzungen, also insbesondere solcher außerhalb des Kernbereichs der arbeitsrechtlichen Pflichten, sollte es gelingen, die Verlängerung der ANÜ - Erlaubnis zu erreichen, falls nicht durch mehrfach wiederholtes Ignorieren entsprechender Hinweise und Rügen der Arbeitsagentur der Eindruck von Unbelehrbarkeit erweckt wird.
Ich berichte vom Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein vom 06.03.2025 zum Aktenzeichen 5 Sa 222 d/24, worin folgende Themen behandelt werden:
Bedeutung des vom Entleiher ausgefüllten Fragebogens zu den wesentlichen Arbeitsbedingungen in seinem Betrieb:
Falls der Verleiher mit seinen Arbeitnehmern nicht die Anwendung eines Tarifwerkes der Zeitarbeit vereinbart hat (iGZ oder BAP, ab dem 01.01.2026 GVP), muss er seinen überlassenen Arbeitnehmern gemäß § 8 Absatz 1 AÜG zumindest solche wesentlichen Arbeitsbedingungen gewähren, die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gelten (Gleichstellungsgrundsatz, Equal Treatment). Im Fall der Vereinbarung der Anwendung eines Tarifwerkes der Zeitarbeit gilt gemäß § 8 Absatz 4 Satz 1 AÜG nach 9 Monaten Überlassungszeit hinsichtlich des Arbeitsentgelts der Gleichstellungsgrundsatz (Equal Pay). Dem Verleiher muss also bekannt sein, welche wesentlichen Arbeitsbedingungen / Entgeltleistungen im Betrieb des Entleihers einem vergleichbaren Arbeitnehmer gewährt werden. Die Abfrage dieser Arbeitsbedingungen erfolgt üblicherweise durch einen vom Verleiher vorgelegten Fragebogen, der vom Entleiher auszufüllen ist.
Im vom LAG entschiedenen Fall gewährte der Entleiher seinen Arbeitnehmern eine Inflationsausgleichsprämie, die in dem Fragebogen genannt war. Der Verleiher gewährte diese Inflationsausgleichsprämie nur in wesentlich geringerem Umfang.
Das LAG urteilte, dass aus der Angabe der Inflationsausgleichsprämie im Fragebogen kein unmittelbarer Anspruch des Arbeitnehmers des Verleihers auf die Gewährung der Inflationsausgleichsprämie folgt, weil es sich bei den Angaben des Entleihers im Fragebogen nicht um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung gegenüber den Arbeitnehmern des Verleihers handelt. Der Fragebogen ist nicht darauf gerichtet, den Arbeitnehmern des Verleihers unmittelbar Rechte zu vermitteln, es handelt sich um die Übermittlung von Informationen des Entleihers an den Verleiher, die dieser zur Erfüllung seiner aus dem Gleichstellungsgrundsatz folgenden Verpflichtungen gegenüber seinen Arbeitnehmern benötigt. Aus diesem Grund sind die im Fragebogen angegebenen Arbeitsbedingungen auch kein Vertrag zugunsten Dritter, aus dem die überlassenen Arbeitnehmer des Verleihers unmittelbar Ansprüche herleiten können.
Mechanik der Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes Equal Pay:
Das LAG urteilte, dass aus der Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie durch den Entleiher nicht automatisch ein Anspruch der Arbeitnehmer des Verleihers auf Gewährung einer solchen Prämie folgt.
Bei der Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes Equal Pay ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen. Es müssen also sämtliche vom Verleiher gewährten Entgeltbestandteile aufaddiert werden, um eine Entgeltgesamtsumme zu ermitteln. Diese Entgeltgesamtsumme ist dann der Summe der Entgeltbestandteile gegenüberzustellen, die der Entleiher einem vergleichbaren in seinem Betrieb tätigen Arbeitnehmer gewährt. Falls die Gesamtsumme der vom Verleiher gewährten Entgeltbestandteile auch ohne einzelne vom Entleiher, nicht aber vom Verleiher gewährte Entgeltbestandteile die vom Entleiher gewährte Entgeltgesamtsumme erreicht, dann ist der Grundsatz Equal Pay nicht verletzt. Es erfolgt keine Gegenüberstellung von Einzelposten, verglichen werden nur die Entgeltsummen.
Der klagende Arbeitnehmer des Verleihers ist hinsichtlich der vorstehend geschilderten Vergleichsberechnung in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet, wobei dem Arbeitnehmer eine gemäß § 13 AÜG vom Entleiher erteilte Auskunft des Entleihers über die wesentlichen Arbeitsbeidnungen behiflich ist. Im hier kommentierten Fall hatte der Arbeitnehmer weder eine Auskunft des Entleihers gemäß § 13 AÜG noch eine Gesamtentgelt-Vergleichsberechnung vorgelegt, sondern lediglich vorgetragen, dass der Entleiher an seine Arbeitnehmer eine Inflationsausgleichsprämie zahlt und der Verleiher nur in wesentlich geringerem Umfang. Wegen fehlenden Vortrages zur Vergleichsberechnung der Entgeltsummen wies das LAG die Berufung des Arbeitnehmers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurück.
Qualifizierung einer Inflationsausgleichsprämie als Entgeltbestandteil im Sinne von Equal Pay:
Bei dem vorstehend geschilderten Vergleich der von Verleiher und Entleiher gezahlten Entgeltsummen zur Ermittlung der Einhaltung des Grundsatzes Equal Pay sind nur solche Entgelte zu berücksichtigen, die als Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung anzusehen sind.
Eine Inflationsausgleichsprämie soll nach dem Willen des Gesetzgebers die in besonders hohem Umfang gestiegenen Verbraucherpreise abmildern und hat keinen unmittelbaren Bezug zur Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Deshalb warf das LAG die Frage auf, ob eine Inflationsausgleichsprämie überhaupt in den Vergleich der Entgeltsummen zur Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes Equal Pay einzustellen sei. Entschieden hat das LAG diese Frage nicht, da die Berufung schon aus anderen Gründen unbegründet war.