Ich berichte von einer aktuellen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Problematik des Anspruches des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nach gerichtlicher Feststellung der Unwirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
Die durchaus nicht unübliche Fallkonstellation lautet: Der Arbeitnehmer erhebt gegen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses Kündigungsschutzklage. Er erscheint nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zur Arbeit sondern bezieht Arbeitslosengeld. Der Arbeitnehmer erhält von der Arbeitsagentur kein Vermittlungsangebot für eine andere Beschäftigung. Er sucht auch nicht aus eigener Initiative einen anderen Job, weil er bei seinem Arbeitgeber weiterarbeiten will. Im Kündigungsschutzprozess verteidigt der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz und in der zweiten Instanz wird vom Landesarbeitsgericht festgestellt, dass die Kündigung unwirksam war. Erst nach diesem Urteil wird der Arbeitnehmer dann wieder vom Arbeitgeber beschäftigt.Der Arbeitnehmer hat wegen der Unwirksamkeit der Kündigung dann grundsätzlich einen Anspruch auf Arbeitsvergütung wegen Annahmeverzuges des Arbeitgebers für die Zeit vom Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beim Arbeitgeber. Wenn sich der Kündigungsschutzprozess über zwei Instanzen hinzieht, kann sich der Zeitraum des Annahmeverzuges deutlich über 1 Jahr erstrecken mit der Folge entsprechend hoher Lohnzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers.
Falls der Arbeitnehmer – wie hier - nach der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses nicht anderweitigen Verdienst erzielt hat - der gemäß § 11 Nr. 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) auf den Annahmeverzugslohn anzurechnen ist -, kann der Arbeitgeber den Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers nur dann abwenden oder reduzieren, wenn er mit Erfolg darlegen kann, dass der Arbeitnehmer im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG die Erzielung anderweitigen Verdienstes „böswillig unterlassen hat“.
Mit den Anforderungen an das böswillige Unterlassen der Erzielung anderweitigen Verdienstes beschäftigte sich das BAG in seinem Urteil vom 15.01.2025 zum Aktenzeichen 5 AZR 273/24, dessen wesentliche Gründe ich hier wie folgt wiedergebe:
Zunächst bestätigte das BAG seine neurere Rechtsprechung, wonach der Arbeitgeber infolge des Ausspruches einer unwirksamen Kündigung mit der Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in Verzug gerät, ohne dass der Arbeitnehmer nach der Kündigung seine Arbeitsleistung beim Arbeitgeber anbieten muss.
Böswilliges Unterlassen anderweitigen Verdienstes im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG liegt dann vor, „wenn dem Arbeitnehmer ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzuges trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitswahl nach Artikel 12 des Grundgesetzes zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme der Arbeit bewusst verhindert. Der Arbeitnehmer darf auch nicht vorsätzlich verhindern, dass ihm eine zumutbare Arbeit überhaupt angeboten wird.“
Zwar stellte das BAG fest, dass - wie hier - Böswilligkeit gegeben ist, wenn sich der Arbeitnehmer nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht darum bemüht, eine anderweitige zumutbare Beschäftigung zu finden. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich nach Ausspruch einer Kündigung bei der Arbeitsagentur arbeitslos zu melden. Falls der Arbeitnehmer Vermittlungsangeboten der Arbeitsagentur nachgeht, wird ihm in der Regel keine vorsätzliche Untätigkeit vorzuwerfen sein.
Je nach Ausgestaltung des Einzelfalls kann der Arbeitnehmer auch verpflichtet sein, aus eigener Initiative ernsthafte Anstrengungen zum Auffinden einer neuen Beschäftigung zu unternehmen.
Auch wenn der Arbeitnehmer ernsthafte Bemühungen zum Auffinden einer zumutbaren Arbeit böswillig unterlässt, ist für die fiktive Anrechnung anderweitigen Verdienstes zusätzlich erforderlich, dass der Arbeitgeber substantiiert (also hinreichend ausführlich, detailliert und nachvollziehbar) darlegt, dass es für den Arbeitnehmer eine geeignete und ihm zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit gibt, auf die er sich mit Erfolg hätte bewerben können.
Die Darlegungslast im gerichtlichen Verfahren ist insofern wie folgt verteilt:
Zunächst muss der Arbeitgeber vortragen, dass für den Arbeitnehmer im Annahmeverzugszeitraum Beschäftigungsmöglichkeiten bestanden, entweder aufgrund von Vermittlungsvorschlägen der Arbeitsagentur (der Arbeitnehmer ist insoweit gegenüber dem Arbeitgeber auskunftspflichtig) oder der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer detaillierte und aussagekräftige Informationen zu geeigneten und zumutbaren Stellenangeboten übermittelt.
Dann muss der Arbeitnehmer erklären, wie er sich mit den Stellenangeboten der Arbeitsagentur oder den vom Arbeitgeber mitgeteilten Stellenangeboten auseinandergesetzt und was er ansonsten unternommen hat, um eine zumutbare Arbeit aufzufinden.
Nur wenn der Arbeitnehmer durch sein Verhalten die Unterbreitung von Stellenangeboten durch die Arbeitsagentur vereitelt hat oder wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer ihm bekanntgegebenen geeigneten und zumutbaren Beschäftigungsangeboten nicht nachgegangen ist, trägt der Arbeitnehmer die Beweislast dafür, dass eine Bewerbung auf eine solche Stelle erfolglos gewesen wäre.
Im hier erörterten Urteil des BAG kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich der Arbeitnehmer fiktiven Verdienst auf seinen Annahmeverzugslohn nicht anrechnen lassen muss, und zwar aus folgenden Gründen:
Selbst wenn der Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitsagentur sagt, dass er keinen anderen Job haben möchte, weil er bei seinem alten Arbeitgeber weiterarbeiten möchte, so hätte der Arbeitgeber ergänzend darlegen müssen, dass nicht auch andere Gründe (wie z.B. das Alter des Arbeitnehmers) zu einer fehlenden Vermittelbarkeit des Arbeitnehmers hätten führen können.
Der Arbeitgeber hatte nicht vorgetragen, dass eine anderweitige Stelle in vollem Umfang für den aus Griechenland abstammenden Arbeitnehmer geeignet war, so z.B. die geforderten englischen Sprachkenntnisse und sicherer Umgang mit dem PC.
Da sich der Arbeitgeber nicht zeitnah nach Ausspruch der Kündigung, sondern erst deutlich später auf das Vorhandensein geeigneter und zumutbarer Stellenangebote für den Arbeitnehmer berufen hat, hätte der Arbeitgeber auch noch darlegen und beweisen müssen, dass der Arbeitnehmer auf einer anderweitige Stelle auch tatsächlich eingestellt worden wäre.
Diese Entscheidung zeigt, dass die Voraussetzungen für die Anrechnung fiktiven anderweitigen Verdienstes auf den Annahmeverzugslohnanspruch des Arbeitnehmers sehr streng sind. Bei zweifehafter Begründetheit der Kündigung in Verbindung mit längerer Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers empfiehlt es sich daher, einen Kündigungsschutzprozess zeitlich nicht ausufern zu lassen, sondern den Prozess abzukürzen. Ein auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung gerichteter gerichtlicher Vergleich kann in solchen Fällen aus Sicht des Arbeitgebers finanziell günstiger sein als hoher Annahmeverzugslohn.