Die Abgrenzung selbständiger Tätigkeit von sozialversicherungsrechtlicher Beschäftigung ist insbesondere unter dem Stichwort "Scheinselbständigkeit" bekannt. Gründe für den Abschluss von Aufträgen über eine freie Dienstleisung anstelle von Arbeitsverträgen sind insbesondere die Vermeidung der (diverse arbeitsrechtliche Pflichten auslösenden) Arbeitgeberstellung und die Vermeidung der Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsabgaben und Lohnsteuer. Wenn allerdings durch Kontrollbehörden, Sozialversicherungsträger oder Gerichte festgestellt wird, dass ein formell als Auftragsverhältnis abgeschlossenes Vertragsverhältnis tatsächlich ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis darstellt, dann kann dies für den Auftraggeber in Gestalt der Nachzahlung von öffentlichen Abgaben erhebliche finanzielle und im Einzelfall sogar strafrechtliche Konsequenzen haben.
Hauptsächliche Kriterien für die Abgrenzung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung von selbständiger Tätigkeit sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) am 23.04.2024 zum Aktenzeichen B 12 BA 9/22 R eine interessante Entscheidung verkündet.
Der vom BSG beurteilte Sachverhalt ist nicht alltäglich gerlagert, denn es ging um die Qualifizierung des Vertrages mit einem Flugzeugführer über die Durchführung von Transportflügen. Allerdings hat das BSG einen wichtigen Grundsatz hervorgehoben, der nicht für diesen Fall von Bedeutung ist: Wenn wegen der Natur der Tätigkeit oder der hohen Qualifikation des Dienstleisters Weisungen zur Ausübung der Tätigkeit (also insbesondere konkrete Arbeitsanweisungen) auf ein absolutes Minimum beschränkt sind, dann folgt hieraus noch nicht das Vorliegen selbständiger Tätigkeit. Für die Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung reicht es dann aus, wenn der Dienstleister in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert ist. Ich zitiere folgenden Satz aus dem hier kommentierten Urteil des BSG: "Insbesondere bei Hochqualifizierten oder Spezialisierten ... ist das Weisungsrecht oftmals aufs Stärkste eingeschränkt. Dennoch kann die Dienstleistung in solchen Fällen fremdbestimmt sein, wenn sie ihr Gepräge von der Ordnung des Betriebes erhält, in deren Dienst die Arbeit verrichtet wird."
Die besondere Aussage dieser Entscheidung liegt darin, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nicht nur dann vorliegen kann, wenn (was bereits bekannt war) wegen der Qualifizierung des Dienstleisters das Weisungsrecht so stark in den Prozess der Arbeitsorganisation integriert ist, dass arbeitgebertypische Weisungen "im klassischen Sinne" nicht erteilt werden. Für mich ergibt sich der Eindruck, dass bei entsprechender Einbeziehung in die Arbeitsorganisation Arbeitsanweisungen nicht mehr erkennbar sein müssen, um eine versicherungspflichtige Beschäftigung annehmen zu können.
Als besonders wichtiges Merkmal der Einbeziehung des Piloten in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers sah das BSG im hier vorliegenden Fall, dass dem Piloten das erforderliche Flugzeug kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde. Hiermit drängt sich z.B. eine Parallele zum "selbständigen Kranführer" auf Baustellen auf, der für seine Dienstleistung einen vom Auftraggeber kostenfrei gestellten Kran nutzt.
Diese Entscheidung des BSG unterstreicht, dass in Grenzfällen sehr sorgfältig geprüft werden muss, ob ein als freie Dienstleistung konzipiertes Auftragsverhältnis nicht tatsächlich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung darstellt.